Claudia Berg

Claudia Berg hat in Halle studiert an der Hochschule für Kunst und Design Burg Giebichenstein. Dort hat sie 2002 das Studium mit dem Diplom beendet in der Klasse für Freie Grafik.

Freie Graphik – was ist das? Zeichnung, schwarzweiß, nicht unbedingt Farbe, graphische Techniken. Hat sie je einen Holzschnitt gemacht oder eine Lithographie? Ich habe davon nichts gesehen, aber die Kupferstechkunst. Es ist die Kunst auf einer Kupferplatte vertiefte Zeichnungen hervorzubringen, von denen dann auf der Kupferdruckpresse Abdrücke, Kupferstiche oder Radierungen, hergestellt werden können. Die ersten Kupferstiche im 15. Jahrhundert waren Spielkarten. Man benutzte also diese Technik zur Vervielfältigung, das sagt erst einmal nichts aus über ein künstlerisches Anliegen. Der große Rubens hatte Kupferstecher angestellt, um seine Bilder zu vervielfältigen, denn es gab mehr Interessenten an seinen bildhaften Deutungen, als er sie malen konnte.

Claudia Berg hat auch Rubens in Kupfer radiert, ein Parisurteil, das sie als Ölskizze in Wien gesehen hat. Ihr Anliegen war allerdings ein anderes, als es die Pflicht der zeitgenössischen Stecher sein musste. Sie macht eine individuelle Analyse. Sie vermittelt die rubenssche Sicht in heutiger Verstehbarkeit, gewissermaßen stenographisch verkürzt. Paris, der Hirte als völlig überforderter Juror, der sich kaum traut hinzugucken. Auch die Göttinnen sind schüchtern und zieren sich, sich voreinander auszuziehen. Aber die kleinen Amoren sind rücksichtslos. Sie reißen ihnen die Kleider vom Leib.

Der Kupferstich ist eine Technik mit vielen Möglichkeiten, die sich auch, historisch gesehen, gewandelt haben. In bestimmten Epochen haben große Künstler sich seiner Möglichkeiten bedient, um einen bestimmten Ausdruck zu finden und nicht nur wegen der Reproduzierbarkeit. Dafür stehen Dürer, Rembrandt und Parmigianino.

Das einfache Kratzen, oder jedenfalls mechanische Bearbeiten einer Kupferplatte ist die Kaltnadelradierung. Hier ist ein Hin und Her der Bearbeitung möglich. Die Werkzeuge sind die Graviernadel, der Stichel, der Polierstahl. Der glättet wieder, was nicht mehr drucken soll. Mit Roulette, Kornroller, Punzen und Wiegeeisen können Tonwerte mechanisch aufgebracht werden. Bei echten Radierungen wird die Verwundung der übrigens zuerst polierten Platte chemisch erzeugt. Ein säurefester Film wird nur ganz fein beschädigt, die eigentliche Vertiefung ätzt die Säure. Kommt noch Asphaltstaub dazu, sind geätzte Tonwerte möglich. So hat Goya gearbeitet. Hier braucht man ein Spritzsieb und einen Staubkasten. Diese Technik heißt Aquatinta. Die vom Künstler fein oder schrecklich malträtierte Platte wird mit einer Eisenpresse auf das weiche saugfähige Papier übertragen. Durch zwei Walzen wird mit Kraft ein Eisentisch mit einer Kurbel gezogen, auf dem die eingeschwärzte und danach blank gewischte Kupferplatte liegt. Darüber befindet sich das Papier und eine filzige Decklage. Abgedruckt wird der Farbdreck, der sich nicht abwischen lässt, oder, den der Drucker oder Künstler absichtlich stehen lässt. Von Druck zu Druck werden die Abzüge schlechter. Späte Auflagen bei Goya, die die Königliche Akademie immer wieder machen ließ, sind nur noch eine fade Erinnerung an die ersten Drucke. Der Grat, der ja zum Beispiel bei der Kaltnadelradierung die wichtigste Beschädigung der Platte ist, wird durch den Druck weggequetscht. Deshalb kann man die Platte auch verstählen, oder die Auflagen bleiben klein und wertvoll.

Claudia Berg hat im Studium eine zeichnende Kindheit und Jugend in eine ernste Kunstübung professionalisiert, die lebenstragend geworden ist. Zu ihrem Talent ist Wissen gekommen, Wissen um Kunstgeschichte, um technische Möglichkeiten und Prozesse, um Wirkungsmechanismen. Für sie ist die Technik der Radierung zum derzeitigen Hauptausdrucksmittel geworden. Damit hat sie sich entschieden, etwas ausdrücken zu wollen. Es reicht ihr gewissermaßen nicht aus, eine leere Platte als Kunst zu erklären oder ein Tintenfass absichtsvoll auszuschütten. Sie hat alte Kunst studiert, zum Beispiel die der Holländer in Amsterdam. Im Rembrandthaus hat sie die Radierpresse des Meisters bewegt, sie hat gesehen, dass große Meisterwerke in ziemlich kleinen Räumen entstehen können. In China und Italien hat sie die Intensität vergangener Kunstepochen begeistert und erschreckt, denn sie hat sehr wohl gesehen, worauf sie sich eingelassen hat: heute Künstler zu sein. Gezeichnet hat sie immer. Zeichnend hat sie Bilder und Räume aufgenommen, zeichnend unsere Welt erkundet, das alte Europa, das noch ältere Asien, unsere heutige Wirklichkeit. Sie hat in Leuna gearbeitet, sie hat leere Landschaften in Wiepersdorf zeichnerisch belebt. Schließlich sind es nicht nur die Besonderheiten, die unser Leben ausmachen, auch die Erde, das Gras, die Bäume, der Himmel gehören dazu. Sie hat sich großen religiösen oder mythologischen Themen vorsichtig genähert, immer mit Bindung zu künstlerischen Ahnen, keineswegs im luftleeren Raum. Das hat sie vor Beliebigkeit bewahrt, aber da sie ein heutiger Mensch ist, hat sie Zweifel und Verwerfungen automatisch einbezogen, auch das Fragmentarische unserer Welt impliziert und in Frage gestellt. Wenn sie eine Stadt zeichnet, wie in ihrem schönen Buch mit Originalradierungen „ Reise nach Halle“, wird man nicht die Abbildung touristischer Highlights finden, man wird aber durch die Andeutungen und Bildfragmente in eine Stimmung geführt, die, unabhängig von der Zerbrochenheit ihrer Bildmittel, eine wirksame innere Realität eröffnet, die ehrlich und anrührend ist. Ihre Blätter sind reich und dicht. Sie geben ihre Wirkung nicht auf den ersten Blick frei. Sie bleiben geheimnisvoll und lebendig. Man kann mit ihnen leben.

Man könnte sich nun die künstlerische Arbeit als ganz einfach vorstellen. Man bekratzt eine Platte und druckt sie in einer nicht ganz kleinen Auflage. Man hat dann am Abend viele Drucke, die man genussvoll signieren kann.

So ist es gar nicht. Ihre Arbeitsweise zielt nicht auf Vervielfältigung, sie ist auch, man kann fast sagen technikfremd, nicht auf die lineare Zeichnung orientiert, sondern auf differenzierte malerische Werte. Die nun sind nicht in schnellen Schritten zu erreichen. Meist nimmt sie die Kupferplatte mit in die Natur oder an die Stätten, die ihr geeignet erscheinen, ihre Vision zu verwirklichen, ob nun in Rom oder bei den Pyramiden im Mansfelder Land. Erste Andrucke im Atelier mögen auf den ersten Blick interessant sein, schon allein durch die Spontanität des frischen Striches. Aber das gefällt Claudia überhaupt nicht. Ich habe diese Prozesse oft genug erlebt. Ist man unvorsichtiger Weise von diesen ersten Abzügen begeistert, wird sie geradezu böse. Es gibt übrigens auch parallel Zeichnungen, manchmal auch Fotos. Und nun beginnt der eigentliche Kampf der graphischen Verdichtung über unzählige Zwischenstufen, die - man ahnt gar nicht, dass das überhaupt möglich ist - , die Wertigkeiten auf der Platte verschieben, verfeinern, zerstören. Korrekturen, Aufrauungen mit Sandpapier, das Polieren von Stellen, die nicht mehr drucken sollen, all das sind Schritte, die die graphischen Ausdrücksmöglichkeiten bereichern. Es ist erstaunlicherweise etwas ganz anderes entstanden, aus vordergründigen Illustrationen sind wesentliche bildhafte Landschaften geworden, die plötzlich Eigenleben bekommen. Denkt man nun als Betrachter, das wäre das Endergebnis . . . keinesfalls. Man erlebt schmerzhaft die Zerstörung manches allzu Schönen und sieht plötzlich, dass es immer noch weiter geht. Die Kupferplatte indessen ist Schlachtfeld geworden und signalisiert die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Sie will langsam wissen, was sie nun wirklich drucken soll. Es ist dies ein mitunter kritischer Punkt, der eine sinnvolle Weiterarbeit in Frage stellt. Es entstehen trotzdem auf diesem Weg vollkommene und seltene Abzüge, die aber mitunter einer manuellen Korrektur bedürfen. Claudia Berg ist das alles egal. Sie zeichnet, wenn es ihr richtig erscheint direkt in den Druck hinein, keinesfalls als technische Korrektur, sondern als vollendende Weiterarbeit. Ihr geht es allein um das Entstehen eines Bildes, das ihrer Vorstellung möglichst nahe kommt.

Ich beschreibe diesen Vorgang deshalb so ausführlich, um zu zeigen, dass viele ihrer graphischen Blätter letzten Endes Einzelstücke sind, Originale, die sich einer Auflage verweigern, oder, bestenfalls sehr kleine Auflagen zulassen. Was sie macht, geht eigentlich nicht, aber die Ergebnisse sind faszinierend. Gut, gelegentlich ist sie gezwungen an Auflagen zu denken, die dann ein Drucker, und sie hat wohl den besten, den es derzeit gibt, in meist kleiner Auflage herstellt.

Das Geheimnis der Wirkung ihrer Radierungen beruht nicht auf irgendeinem Raffinement oder steiler Genialität. Sie sind das Produkt konzentrierter, langwieriger harter Arbeit, die Werke entstehen lässt, die auch nicht raffiniert aussehen, sondern in einfacher und nun unerklärbarer innerer Verdichtung eigene Wesen geworden sind, die auch ohne die Künstlerin überleben. Das vielleicht ist Kunst? Nehmen Sie sich nun etwas Zeit, um es zu entdecken.

Helmut Brade, 5. Dezember 2017